Die Macht der Modebilder
Auf meinen täglichen Wegen komme ich an Schaufenstern, Werbebannern und Magazinauslagen vorbei. Alle zeigen sie Modebilder und alle vermitteln sie mir Schönheitsnormen. Ein paar Gedanken zu Macht der Modebilder.
Auf meinem Weg zur Arbeit fahre ich an Schaufenstern vorbei, darin helle Schaufensterpuppen in perfekter Stundenglassilhouette: Schultern und Hüften auf einer Linie, zwischen ihnen eine schmale Taille. Wespentaille. 90 – 60 – 90 eben.
Auf meinem Weg zu Freund*innen rolle ich an einem Friseursalon vorbei. In den Schaufenstern hängen lebensgroße Schwarz-Weiß Zeichnungen von Frauen. Keine individuellen Gesichter oder Frisuren. Stattdessen lange Beine, Schwanenhälse und winzige Taillen.
Auf meinem Weg zum Einkaufen gehe ich an einem Kiosk vorbei. In der Auslage liegen zahlreiche Modemagazine. Auf den Covern kommen Frauen über 40 kaum vor. Nicht-binäre Menschen nur selten. Stattdessen lächeln mich glattretuschierte, perfekt geschminkte Gesichter an. Falls die Körper dazu nicht dem Stundenglas-Ideal entsprechen, greifen sie den aktuellen Trend von breiten Hüften auf.
Die Macht der Modebilder
Bilder sind ein integraler Teil der Modeindustrie. Mit der Vermarktung einzelner Produkte kamen auch ihre Bilder. Sei es als Zeichnungen, Drucke, Fotografien oder in digitaler Form. Sie alle haben durch die Jahrhunderte hindurch dieselbe Funktion: Produkte der Modeindustrie bewerben und die Kauflust wecken. Sie alle haben dieselbe Wirkung: Schönheitsideale und Sehgewohnheiten prägen.
Bilder haben Macht. Und dafür müssen wir sie nicht einmal visuell vor Augen haben. Wenn ich ein “H&M Werbeplakat” anspreche, was kommt euch in den Sinn? Welches Bild entsteht vor euren Augen? Schlanke, normschöne, lange Menschen? Leicht geöffnete Lippen? Lange, glatte Haare? Junge, nichtbehinderte Körper?
Modebilder – Gegenbilder
Das Paradoxe daran ist, dass Modebildern ein utopisches Potenzial innewohnt. Damit meine ich, dass sie alles sein könnten, solange sie ein Kleidungsstück abbilden und damit bewerben. Die Bilder müssen nicht am Entstehungsort aufgenommen werden oder ein möglichst absurdes Setting, wie eine Wüste, präsentieren. Sie sind auch an keine Zeit gebunden, müssen keine minderjährigen Kinderkörper inszenieren oder Elemente der Jugendbewegungen aufnehmen. Die Posen müssen nicht die äußerst mögliche Verrenkung darstellen oder den Eindruck erwecken, es würde nicht gepost werden, indem frau sich leger auf eine Couch fläzt.1
Dass Modebilder anders aussehen können, zeigt der von 2015 bis 2020 betrieben englische Kanal Women in Fashion (@womennfashion). Darin sammelten Frauen aus dem Betrieb der Modefotografie Gegenbilder, die sie teils selbst machten, teils fanden oder zugeschickt bekamen. Verrenkte Körper, sexuelle Anspielungen oder ausschließlich weiße Models findet mensch auf diesem Profil nicht. Wie viel Raum für Veränderung es in der Szene gibt, zeigt sich in einem Interview mit dem Twin Magazine ((India Doyle mit Daisy Walker, „Setting a new Agenda. Women in Fashion“, 6. Mai 2017, auf: Website Twin Magazine, https://www.twinfactory.co.uk/tag/feminist-fashion/, Zugriff am 15. April 2022)). Darin schlugen die Betreiber*innen von womennfashion beispielsweise Streetcastings als Alternative zu Modelcastings vor. Bei Streetcastings werden die Modelle spontan auf der Straße angefragt, wodurch Menschen wie du und ich zu Modellen werden können.
Leider wurde der Account 2020 eingestellt. Laut den Betreiber*innen hat sich in der Zwischenzeit einiges verbessert. Visuelle Klischees wie das springende oder sich räkelnde, halb abwesende Model sind auf dem Rückzug. Modestrecken wie die Kampagne The Gaze & Other Stories, bei der trans Menschen geschlechterneutrale Kleidung präsentieren (und an der Produktion der Kampagne beteiligt waren), bleiben jedoch eine Ausnahme2 Das zeigen mir jeden Tag die Bilder, die mir auf meinen alltäglichen Wegen begegnen. Mein Bedürfnis nach Gegenbildern bleibt groß. Für den Moment muss es reichen, ihre Macht anzuerkennen und mich zu fragen: Wer will was mit diesem Bild zeigen? Und wie macht er/sie/sier das?
Zur Sprache auf diesem Blog: Immer, wenn wir Genderbezeichnungen nutzen, beziehen wir uns gleichermaßen auf trans wie cis Menschen. Uns ist bewusst, dass die von uns verwendeten Begriffe soziale Konstrukte sind und es mehr als zwei Geschlechter gibt. Um gendersensible Sprache zu verwenden, nutzen wir den Doppelpunkt. Falls wir über eine Person schreiben, die sich eine andere Selbstbezeichnung wünscht, verwenden wir diese.
Schwarz wird großgeschrieben, da dies nicht für eine Hautfarbe, sondern politische Selbstbezeichnung steht. weiß wird kursiviert, da es sich dabei um eine privilegierte Positionszuschreibung handelt.
- vgl. dazu den Band HOLD IT! Zur Pose zwischen Bild und Performance, hg. V. Gabriele Brandstetter, Bettina Brandl-Risi u. Stefanie Diekmann, Berlin 2012. [↩]
- Naomi Pike, „The gaze & Other Stories“, 24. August 2015, auf: Website Vogue UK,https://www.vogue.co.uk/gallery/other-stories-capsule-collection, Zugriff am 15. April 2022. [↩]