Modeindustrie,  Salonthema

MAKE OUR SIZES – Ein Plädoyer

Kaum ein anderer Bereich ist so schnelllebig, rapide und innovativ wie die Modeindustrie – neue Kollektionen und Trends erscheinen im Monatstakt, Designphasen werden zunehmend kürzer, Fast Fashion macht ihrem Namen alle Ehre. Wie kann es sein, dass diese von Modernität und Wandelbarkeit lebende Branche zeitgleich so traditionsversessen ist und unverbesserlich nicht mehr zeitgemäßen Strukturen nachtrauert, wenn es um die Vielfalt unserer Körper geht?

Seit ich denken kann, gehen meine Mutter und ich regelmäßig gemeinsam Kleidung kaufen. Die letzten Jahre wurde dies zunehmend weniger, da ich versuche meinen Konsum zu reduzieren und Kleidung häufiger gebraucht zu kaufen. Trotzdem gab es viele Jahre, in denen wir gemeinsam durch die Stadt bummelten und uns mit neuen Klamotten eindeckten. Meine Mutter ist sehr klein und zierlich, ich bin größer und kurvig gebaut. In den meisten Läden, die wir besuchten, hatte meine Mutter immer Glück: Ihre „kleine“ Größe, meist gelabelt mit einer XS oder S, war durchgehend vorhanden und meistens sogar reduziert. Es gab massenweise Hosen, Kleider, Rücke und Shirts für kleine, schmale, zierliche Menschen – unifarben, gestreift oder gepunktet, aus Leder, Baumwolle und Polyester, lang, kurz, eng und weit.

Für mich, als normgroße Frau mit großer Oberweite und breiter Hüfte, war es deutlich schwieriger, Kleidung in der passenden Größe zu finden. Meist passten mir nur „Large“ oder oversize-geschnittene Formen in kleineren Größen, die an meinem Körper jedoch unpassend herunterfielen. Doch ich konnte froh sein, dass mir überhaupt etwas passte – wäre mein Körper ein wenig gewachsen, wäre dem nicht mehr so gewesen. Bis heute hat sich das Dilemma nur wenig verändert. Trotz anderer Konsumgewohnheiten stoße ich auch im Second Hand Bereich auf ähnliche Probleme.

Die „deutsche Durchschnittsfrau“

Verwunderlich an der ganzen Sache ist, dass mein Körper den Statistiken nach mehr oder weniger der deutschen Norm entspricht (und als Jugendliche sogar unterhalb dieses Bereichs eingeordnet wurde). Denn die „deutsche Durchschnittsfrau“ trägt Größe 42/44.1 Dieser Fakt spiegelt(e) sich aber in keiner Weise in den meisten Läden deutscher (und internationaler) Städte wider – im Gegenteil: Während es auffallend viel Kleidung in den Größen 32 und 34 gibt, die nur einem kleinen Bruchteil der Bevölkerung überhaupt passen, sieht es im Bereich der größeren Größen schlecht aus. Nur mit Glück ist eine 42 oder gar 44 vertreten, in vielen Läden findet man aufwärts der 46 fast keine Kleidung mehr. Oftmals wird von den Verkäufer:innen alternativlos auf „die große Online-Auswahl“ verwiesen – als würden mehrgewichtige Menschen mit größeren Körpern schlichtweg nicht existieren oder kein Recht darauf haben, außerhalb der digitalen Welt Kleidung zu erwerben.

Als Teenagerin, die sich mit ihrem Körper in einer Art Dauerkrieg befand, verunsicherte mich dies zutiefst. War mein Körper falsch und unerwünscht, so wie er war? Warum wurde ihm die Existenzberechtigung abgesprochen, indem für ihn weniger Kleidung als für kleinere Körper produziert wurde? War der einzige Weg, schöne Kleidung zu finden, zu hungern und zu diäten, bis mein Körper dieser künstlich geschaffenen und realitätsfernen Norm entsprach, die Konfektionsgrößen der Geschäfte forderten?

Diverse Größen in der Modeindustrie – eine Utopie?

Zwar wandeln sich seit einigen Jahren langsam die Sehgewohnheiten und Mode wird diverser, jedoch kann kaum von einer großen Wende gesprochen werden, die in den Modehäusern dieser Welt angekommen sei. Einzelne Plus-Size-Kampagne und Diversitäts-Versuche oftmals großer Markenketten mit kurzer Laufzeit wirken eher, als wären sie dem Trend des „diversity-washings“ geschuldet und nicht eine elementare, tiefgreifende Veränderung, die überfällig ist. Die unrealistische Größenverteilung vermittelt das Gefühl, dass Körper oberhalb (und unterhalb) des Angebotes falsch sind. Profit aus den resultieren Unsicherheiten schlägt einzig und allein die patriarchal geprägte Schönheitsindustrie, die ohne die Schaffung von Normen und daraus resultieren Selbstzweifeln (Schlagwort Diätindustrie) kein Gewinn mehr machen würde.

Als Grund für die fehlenden Diversität von verschiedenen Körpern im Modebereich werden häufig höhere Produktionskosten und eine nicht ausreichende Abnahme angegeben. Diese Argumente scheitern jedoch bereits daran, dass für den Bereich der „Plus-Size-Mode“ nicht das gleiche Budget eingeplant wird wie für den „Standardbereich“. Noch einmal zur Erinnerung: Der sogenannte „Standardbereich“ geht bis Größe 40, die „deutsche Durchschnittsfrau“ trägt 42/44!1 Des Weiteren werden größere Körper weit weniger sichtbar gemacht als kleinere, was auch zur reduzierten Abnahme führen kann – denn wer hat schon Lust, nach einer halbstündigen Suche nach der passenden Größe und der deprimierenden Erfahrung, dass es diese nicht zu geben scheint, weiterzusuchen?

#makemysize und weitere Inspirationen

Mittlerweile gibt es dankenswerterweise großartige Aktivist:innen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise für andere und realistische Sehgewohnheiten einsetzen. Mit der Kampagne #MakeMySize macht die amerikanische Unternehmerin Katie Sturino auf die fehlenden Größenoptionen vieler Läden und Marken aufmerksam. Sie fordert diese auf, Kleidung auch für ihren und andere Körper zu produzieren. Körperaktivistin und Autorin Melodie Michelberger setzt sich für einen überdachten Umgang mit Körpern und Sprache ein. Model Charlotte Kuhrt zeigt tagtäglich auf ihrem Instagramkanal, dass Wohlbefinden und Körperumfang verschiedenen Parameter sind, die keinen Zusammenhang haben sollten. Und Schauspielerin und Filmproduzentin Lena Dunham ist für mich seit ihrem Mitwirken in der Serie „Girls“ in Sachen “Body Politics” in der Filmwelt eine Heldin. Es gibt viele fantastische Menschen, die sich in diesem Bereich stark machen. Doch es braucht noch mehr Rückenstärkung, damit die nächsten Generationen nicht immer und immer wieder mit dem gleichen Problem konfrontiert werden.

In diesem Sinne: ein Plädoyer an die Modemenschen

Die Kommunikation und Sichtbarmachung verschiedener Körper ist wichtig, denn Körper sollten in ihrer Individualität nicht in künstlich konstruierte Größenschemata passen müssen. Kleidung sollte für unsere wunderbar verschiedenen Körper gemacht werden und nicht umgekehrt. Sie sollte keine falschen Körperbilder vermitteln und künstliche Normen schaffen. Kleidung muss nicht schlank machen. Nicht „vorteilhaft“ sitzen. Kleidung muss nicht schmeicheln.

Tut uns doch bitte den Gefallen und hinterfragt, was ihr mit eurer Mode kommuniziert, welches Bild ihr erzeugt. Hinterfragt, was ihr in dieser Welt leisten wollte. Bildet euch dahingehend zeitgemäß weiter und reagiert entsprechend – ausreichend Abnehmer:innen gibt es garantiert! Denn ob ihr wollt oder nicht, große Körper existieren und würden gerne nicht dauerhaft unbekleidet oder in unbunten Farben rumrennen müssen.


Zur Sprache auf diesem Blog: Immer, wenn wir Genderbezeichnungen nutzen, beziehen wir uns gleichermaßen auf trans wie cis Menschen. Uns ist bewusst, dass die von uns verwendeten Begriffe soziale Konstrukte sind und es mehr als zwei Geschlechter gibt. Um gendersensible Sprache zu verwenden, nutzen wir den Doppelpunkt. Falls wir über eine Person schreiben, die sich eine andere Selbstbezeichnung wünscht, verwenden wir diese.

Schwarz wird großgeschrieben, da dies nicht für eine Hautfarbe, sondern politische Selbstbezeichnung steht. weiß wird kursiviert, da es sich dabei um eine privilegierte Positionszuschreibung handelt.

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  1. https://beige.de/artikel/mode-fashion-konfektionsgroessen-kleidergroessen-diversitaet-inklusivitat, Zugriff am 13. April 2022. [] []

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