PerspekTITTEN - Ansichten einer XXX,  Salonthema,  Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht

PerspekTITTEN. Ansichten zu einem Ausstellungsbesuch

Wegen des Wunsches mit den Klits mal wieder rauszukommen, finde ich im Spätsommer 2022 zufällig heraus, dass die Bundeskunsthalle eine Sonderausstellung zu Simone de Beauvoir und ihrem berühmtesten Werk Das andere Geschlecht auf die Beine gestellt hat. Ich habe Lust auf eine geschichtliche Dimension des Feminismus, möchte mehr über die sogenannte „Bibel des Feminismus“ erfahren und organisiere eine private Führung.

Ich erhoffe mir in meinem prall gefüllten Leben voller bezahlter und unbezahlter Arbeit, kompetenten Input für mich und alle die dabei sein werden. „Man wird nicht als Frau geboren, sondern wird dazu gemacht!“ – Dies ist der Satz schlechthin, der in meinem Kopf von de Beauvoir präsent ist. Daneben ist nicht viel mehr Inhaltliches oder substanzielles Hintergrundwissen zu ihrem Leben und Werk vorhanden. Höchstens ihre lebenslange Liaison mit dem weithin bekannten Existenzialisten Jean-Paul Sartre sowie ihr charakteristischer Look mit Stirnband und/oder Hochsteckfrisur sind mir noch im Gedächtnis geblieben. Auch der Imagefilm der Bundeskunsthalle zur Ausstellung macht Lust auf mehr de Beauvoir, trotz eines unerwarteten Auftritts von Alice Schwarzer. Es wird Zeit, sich näher kennenzulernen!

Biografie

Beim Betreten der Ausstellung dominieren ein minimalistischer Stil, Grautöne und ein nüchternes Arrangement mit wenigen Dinge und vielen Texte. Die Sonderausstellung startet klassisch mit der Vita der Philosophin, Autorin und Intellektuellen. Es folgt ein kleines Arrangement aus drei Bistrotischchen mit dem typischen Pariser Sitzmobiliar als Sinnbild für das Intellektuellendasein und die Existenzialist*innen, deren Zirkel de Beauvoir gemeinsam mit Sartre angehörte. Wir hasten durch die Vita, die katholische Prägung, das bourgeoise Aufwachsen und den sozio-ökonomischen Abstieg der Familie nach missglückten Börsenspekulationen des Vaters. 

„Das moderne Leben“

Schon bald kommt die Ausstellungsführerin zu Sartre und ihrer Paar- und Arbeitsbeziehung. Von hier an entsteht bei mir der Eindruck, dass diese Dyade um sich greift und im Verlauf der Ausstellung die Hauptfigur, aber vor allen Dingen ihr epochales Werk kaum noch für sich betrachtet werden. Überhaupt wird Das andere Geschlecht inhaltlich eher beiläufig eingestreut, wenn auch häufiger betont wird, dass es für seine Entstehungs- und Veröffentlichungszeit revolutionär war und viel Sprengstoff bezüglich der männlichen Vorherrschaft enthielt. Recht ungreifbar bleibt, auf welch gekonnte analytische Art und Weise die Situation der weißen Frau aus der mittleren und oberen Gesellschaftsschicht von de Beauvoir beschrieben und gedeutet wird. Die Kritik am Werk findet beiläufig statt: „Zu lang und zu ausschweifend.“ Die Irritation darüber, dass unsere Führerin von Beginn an nicht gendert, sehe ich vielen unserer Teilnehmerinnen angesichts der Hauptfigur und deren Hauptthemen förmlich an. 

Zitat aus Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht.
„Das globale Phänomen“

Aufschlussreich erscheint der Ausstellungspart, der sich mit der Übersetzung des Originaltitels Le Deuxième Sexe, also das zweite Geschlecht, beschäftigt. Sowohl die Präsentation der vielen Ausgaben aus verschiedenen Teilen der Welt als auch der kurze Austausch dazu wecken Interesse. Es beeindruckt mich, wie stark Erscheinungszeit und -ort, die Covergestaltung sowie die vielfältigen Übersetzungsabweichungen des Titels dessen Adaption und Rezeption beeinflussten. 

„Der Klassiker der Frauenbewegung“

Die Ausstellung endet mit dem Feminismus der moderneren Zeit, den die mit Simone de Beauvoir gut bekannte Alice Schwarzer mit ihrer vielfach ausgestellten Zeitschrift Emma und einem Video von einem Besuch in de Beauvoirs Pariser Wohnung beschließt. Als Endpunkt irritiert mich dies. Wie viel Fortschritt und Entwicklung auf die ehemalige Gallionsfigur Schwarzer folgten, welch Diversifizierung, Globalisierung und Internationalisierung Feminismen mittlerweile erfahren haben, bleibt einfach gänzlich unerwähnt. Auch die aktuelle Kritik an Alice Schwarzer (Transfeindlichkeit, Rassismus) bleibt aus. Ich finde das sehr erstaunlich! Die Perspektiven von einigen Teilnehmerinnen fallen entsprechend so aus: 

  • Guter Einblick und Überblick zu Simone de Beauvoir. 
  • Kritischer Blick auf die für damalige Verhältnisse sehr progressiven Ansichten aus heutiger Sicht fehlt. 
  • Kritische Auseinandersetzung z. B. in Bezug auf Alice Schwarzer erfolgt leider nicht. 
  • Überbetonung von Sartres Rolle – in der Führung, aber nicht in der Ausstellung – sehr auffällig. 

Dennoch verfliegt eine Stunde privater Führung erstaunlich rasch. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass sich eine intensivere Auseinandersetzung mit Simone de Beauvoirs Leben und Werk lohnt und bereichernd auswirkt. Daher beschäftigen wir uns in den nächsten Wochen noch einmal mit de Beauvoir und dem anderen Geschlecht.
Was steckt hinter der Ikone Simone de Beauvoir? Welche Ansätze und Aspekte von Das andere Geschlecht sind heute noch aktuell? Wie sieht eine queerfeministische Perspektive auf de Beauvoir aus? Was beschäftigt heute französische Feminist*innen? Gibt es noch deutsch-französische Feminismen? Aber erst einmal interessiert uns: Habt ihr die Ausstellung auch gesehen? Welche Eindrücke habt ihr mitgenommen?

Einen kurzes Reel mit Eindrücken der Ausstellung findet ihr auf unserem Instagram-Kanal.


Zur Sprache auf diesem Blog: Immer, wenn wir Genderbezeichnungen nutzen, beziehen wir uns gleichermaßen auf trans wie cis Menschen. Uns ist bewusst, dass die von uns verwendeten Begriffe soziale Konstrukte sind und es mehr als zwei Geschlechter gibt. Um gendersensible Sprache zu verwenden, nutzen wir den Doppelpunkt. Falls wir über eine Person schreiben, die sich eine andere Selbstbezeichnung wünscht, verwenden wir diese.

Schwarz wird großgeschrieben, da dies nicht für eine Hautfarbe, sondern politische Selbstbezeichnung steht. weiß wird kursiviert, da es sich dabei um eine privilegierte Positionszuschreibung handelt.

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