Wütende Vulva: Sexualisierte Gewalt
Triggerwarnung: Vergewaltiger.
Anfang 2021 wird auf meiner Straße eine Frau vergewaltigt. Ich bin betroffen. Schockiert. Die Polizei gibt eine Warnung für den naheliegenden Park heraus. Ich schreibe meinen Freundinnen, die dort häufig laufen gehen. „Hast du schon gehört?“, „Pass auf dich auf.“, „Meide den Park.“ Als mein Partner nach Hause kommt, ist er ebenso schockiert. Er fühlt sich hilflos. Und in dem Moment werde ich wütend. Denn eigentlich wissen wir, dass dies regelmäßig passiert. 2020 gab es 1.449 Sexualdelikte in Köln, davon 229 Vergewaltigungen/schwerer sexueller Missbrauch.1 Dunkelziffer unklar.
Ich bin wütend.
Auf mich selbst, die nach Berichten zu sexualisierter Gewalt in einem Schockgefühl gefangen ist. Und ihre Freundinnen ermahnt, auf sich aufzupassen, Wege zu meiden. Dass ich selber davon spreche und darüber schreibe, dass eine Frau vergewaltigt wurde. Stattdessen will ich in Zukunft sagen, dass ein Mann vergewaltigt hat. Eine FLINTA wird nicht beschimpft (cat-calling). Ein Mann beschimpft. Eine FLINTA wird nicht irgendwo angefasst. Ein Mann fasst ungefragt an. Eine FLINTA macht nicht ihrex Grenzen nicht deutlich. Ein Mann kennt keine Grenzen. Wenn Sprache Sein ist, wird es höchste Zeit, Gewalt als aktive Handlung eines Menschen auszudrücken.
Ich bin wütend.
Auf meinen Partner. Auf meine Freunde. Auf jeden Mann auf der Straße. Den 1.449 Sexualdelikten in 2020 konnten 970 Täter*innen zugeordnet werden: 917 davon waren männlich.2 Wie kann es sein, dass ich Überlebende und Betroffene kenne, aber keine Täter? Bereits 1982 kritisierte bell hooks, dass die Einrichtung von Frauenhäusern „[…] nicht die Psyche der Männer, die Frauen* Gewalt antun [verändert], und auch nicht die Kultur, die ihre Brutalität fördert und billigt.“3
Lösungsansätze
Einfache Lösung: Sich selbst bestmöglich absichern, dem weißen Ring spenden, diesen Text zum Alltag einer weiblich gelesenen Person an Väter, Brüder und Freunde weiterleiten.
Komplexe Lösung: Statt meinen Freundinnen zu schreiben, sich zu schützen, diskutiere ich mit meinem Partner, was er tun kann. Erzähle immer häufiger von Situationen, in denen ich mich unsicher fühle und erkläre, warum ich ihn immer bei Dunkelheit frage, mit mir spazieren zu gehen. Mache ihn auf die Pfeife an meinem Schlüsselbund aufmerksam. Und ich nehme mir vor, mit drei Freunden darüber zu sprechen:
Was weißt du über sexualisierte Gewalt? Wie und wo informierst du dich?
Hast du Betroffene in deinem Umfeld? Falls nein, höre besser zu.
Kennst du Täter, privat oder aus der Öffentlichkeit? Falls nein, auch keine Fußballspieler?
Hast du dich möglicherweise schon einmal falsch verhalten? Hast du dich im Nachhinein entschuldigt?
Machst du andere Männer auf ihr Fehlverhalten aufmerksam? Greifst du ein? Auf der Straße und online?
Wer kann dir helfen?
Wovor hast du Angst? Ist meine Angst unwichtiger als deine?
Das Projekt Campus vom Maria Jahoda Zentrum für internationale Gender Studies der Ruhr-Uni Bochum hat 10 Schritte für Allys zusammengefasst, die wir an dieser Stelle gerne noch einmal auflisten4. Die ausführlichen Erklärungen dazu findet ihr hier.
- Werde ein*e gute*r Zuhörer*in
- Ja heißt Ja und Nein heißt Nein
- Übe dich in Selbstreflexion
- Entschuldige dich
- Weggucken ist keine Option
- Informiere dich
- Frage nach
- Zeige Präsenz
- Hole dir Unterstützung
- Sei dir über das Zusammenspiel unterschiedlicher Diskriminierungsformen bewusst
Zur Sprache auf diesem Blog: Immer, wenn wir Genderbezeichnungen nutzen, beziehen wir uns gleichermaßen auf trans wie cis Menschen. Uns ist bewusst, dass die von uns verwendeten Begriffe soziale Konstrukte sind und es mehr als zwei Geschlechter gibt. Um gendersensible Sprache zu verwenden, nutzen wir den Doppelpunkt. Falls wir über eine Person schreiben, die sich eine andere Selbstbezeichnung wünscht, verwenden wir diese.
Schwarz wird großgeschrieben, da dies nicht für eine Hautfarbe, sondern politische Selbstbezeichnung steht. weiß wird kursiviert, da es sich dabei um eine privilegierte Positionszuschreibung handelt.
- Polizei NRW, Polizeiliche Kriminalstatistik 2020. Auswertebericht für das Polizeipräsidium Köln Stadtgebiet Köln, https://koeln.polizei.nrw/sites/default/files/2021-03/k-pks2020-koeln.pdf, Zugriff am 12. Dezember 2021, S. 7. [↩]
- Vgl. ebd., S. 12. [↩]
- bell hooks, „Schwarze Frauen* und Feminismus“, Erstveröffentlichung 1982, in: Natasha A. Kelly, Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte, Münster: Unrast Verlag 2019, S. 100. [↩]
- Lena Spickermann, „How to be an Ally“, o. D., Blog Unser Campus, Maria Jahoda Center for International Gender Studies, RUB, https://unser-campus.de/how-to-be-an-ally/, Zugriff am 12. Dezember 2021. [↩]