Frauen in der Musik,  Salonthema

Skandal um Rosie, Britney, Miley und Co

Skandal im Sperrbezirk.
Die CSU erlässt 1972 die Sperrbezirksverordnung und will durch Überwachung und Kontrollen den „scharfen Sex“ aus dem Münchener Stadtbild verbannen. Die Spider Murphy Gang nimmt diese Verordnung zum Anlass und schreibt hierüber ihr erfolgreichstes Lied. Die Konsequenz: Bayerische Radiosender untersagen die Wiedergabe des Liedes, im Rest von Deutschland wird es zum Nummer Eins Hit. Ein Lied, das durch seinen Inhalt international auf politisch strittige Beschlüsse aufmerksam macht und zum Skandal wird.

Suchen wir nach aktuelleren Skandalen im Musikbusiness, stoßen wir kaum noch auf Skandale, die sich auf Musikinhalte beziehen. Wir finden vielmehr verachtende Schlagzeilen, die auf zu viel Nacktheit, überschüssige Pfunde, Imageverlust und Drogenexzesse hinweisen. Allen gemein sind peppige Wortspiele, die lustig oder sarkastisch sein sollen, in ihren Aussagen jedoch grenzüberschreitend, sexistisch und respektlos sind. Der größte gemeinsame Nenner für Musikskandale: Frauen.

Von süßen Schulmädchen und “Lustlos-Moppeln”

Die Reihe der Beispiele ist lang. Im Rahmen der Recherchen fielen mir immer wieder zwei Personen in die Hände: Britney Spears und Miley Cyrus. Sie bedienen die volle Bandbreite vermeintlicher Skandale, sind beide Belustigungsobjekt der Presse.

Britney Spears steht als Elfjährige mit ihren Kolleg*innen Aguilera und Timberlake erstmals im Mickey Mouse Club vor laufenden Kameras. Ihr Talent ist damals unbestritten. Sie nimmt Tanz- und Gesangsunterricht, gewinnt zahlreiche Wettbewerbe und erlangt zunehmend an Bekanntheit. Als 18-Jährige wird sie mit ihrem Debütalbum „Baby one more time“ auf der ganzen Welt bekannt. Sie ist das zarte, blonde, unschuldige Schulmädchen.

Nach zwei Jahren Erfolg dann der Imagewechsel und Beginn der Skandale. 2003 küsst sie Madonna während der Performance zu Like a Virgin bei den MTV Video Awards, 2004 vollzieht sie eine Blitzhochzeit, die nach 58 Stunden geschieden wird, sie heiratet später ihren Backgroundtänzer, sie lässt sich scheiden, sie wird 2007 in einer Suchtklinik behandelt und verlässt diese nach einem Tag, sie feiert „das peinlichste Comeback aller Zeiten“, sie wird mehrfach psychiatrisch zwangseingewiesen, sie lässt sich ihre Haare abrasieren, sie lässt sich tätowieren, ihr Vater erhält die Vormundschaft über sie, sie darf ihre Kinder nicht mehr sehen….

Es widerstrebt mir diese Ereignisse Punkt für Punkt aufzulisten. All das hat nichts mit Britney’s Musik zu tun. Natürlich, sie ist eine Person des öffentlichen Lebens, entsprechend wird ihr Leben medial dokumentiert. Nicht vertretbar bleibt jedoch die Art, wie über die Künstlerin gesprochen wird, dass in ihre tiefste Privatsphäre eingegriffen wird, dass sie aufgrund ihrer psychischen Konstitution weltweit verspottet wird.

Wir finden Bilderreihen von „Moppel Britneys Tour“, oder wie die Bild Zeitung sie taufte „Dickney Spears“1 2007 ist ihr musikalisches Comeback nach einer Babypause überschattet von Schlagzeilen a la “Britneys Peinlich-Comeback: Lustlos Moppel im Pailetten Bikini” „Britneys schlimmer Auftritt im schwarzen Bikini und knielangen Stiefeln.“2

„Von den Tageszeitungen über die Talkshows bis hin zu den Bloggern im Internet […]. Nie zuvor wurde ein Star so öffentlich und so einhellig von den einstigen Cheerleadern nach einem Auftritt zerrissen.“ 3

Es scheint, als gelte der Anspruch, dass vor den Kameras alles perfekt sein müsse und vor allem so, wie es die Gesellschaft erwarte. Ist das nicht der Fall, stürzt sich die Presse darauf.
Unabhängig davon, wie unwahr diese Bewertungen sind (guckt euch gerne die „Moppel Britney“ an), sind sie Ausdruck von mangelndem Respekt vor der Künstlerin. Warum muss ein Auftritt so dokumentiert werden? Sollte es nicht um die musikalische Darstellung gehen? Natürlich ist die Inszenierung von Musik ein Teil des Ganzen aber bestimmen Körperform und Outfits die Qualität dessen? Kann ein Comeback aufgrund dessen als gescheitert gelten? Sicherlich nicht! Sollten wir nicht wohlwollend mit Künstler*innen umgehen? Die sich letztlich für unsere Unterhaltung auf die Bühne stellen? Sollten wir nicht empowern?
Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn weltweit Menschen darüber urteilen, wie mein Körper nach einer Schwangerschaft aussieht.

Sie präsentierte sich wie in einem Intro eines zweitklassigen Pornos

Welches Ausmaß die öffentlichen „Diskurse” haben, wurde bei den MTV Music Video Awards 2013 deutlich, bei denen Miley Cyrus einen „skandalösen“ Auftritt auf die Bühne brachte. Gemeinsam mit Robin Thicke performte sie Blurred Lines, „züngelte Thicke an, rieb sich mit ihrem Po an seinem Schritt und präsentierte sich wie im Intro eines zweitklassigen Pornos.“ 4

In ihrem knapp sechsminütigen Auftritt explodierte Twitter, pro Minute gab es durchschnittlich 300.000 Tweets, die den Auftritt zum Thema machten.5 Auch Musikkolleg*innen äußerten sich mit vernichtenden Urteilen, betitelten den Auftritt als verstörend, fühlten sich daran erinnert, dass die eigenen Kinder niemals ins Showbusiness einsteigen sollten. Spannend: Miley Cyrus wurde medial zerrissen, über Herrn Thicke hingegen kaum Worte verloren. Außer natürlich, dass Miley mit ihrer Performance daran Schuld sei, dass die Ehe von Herrn Thicke zerbrochen sei.6
Und wieder das gleiche Phänomen: kaum ein Wort über die musikalische Darbietung der beiden.

“People care more about appearance than words”

Es scheint fast so, als seien Performance und Erscheinungsbild einer Künstler*in letztlich die entscheidende Komponenten für Anerkennung oder Spott. Und deutlich wird auch, dass es die Komponente ist, über die Aufsehen erregt werden kann, die medienwirksam ist, die abbildbar ist. Da stellt sich die Frage, ob ein Skandal in diesem Sinne der einzige und vielleicht auch notwendige Weg ist, als Musikerin überhaupt Aufmerksamkeit zu generieren. Sind Skandale also auch Chancen? Nährboden für Erfolg? Verliert die Musik selbst an Bedeutung und erhält nicht ihre verdiente Aufmerksamkeit? Wann wird darüber gesprochen, was durch eine Inszenierung ausgedrückt werden soll? Wo bleiben Interpretationen und Deutungen?

Unter dem Video Wrecking ball, mit dem Miley Cyrus einen erneuten Skandal auslöste, kommentiert eine YouTube-Userin sehr treffend:

„I remember when this was first released. All everyone talked about was her sitting on the wrecking ball, naked. No one talked about how powerful the lyrics are. It goes to show that people care more about appearance than words.“7

Thers’s no buisness like Showbusiness, Miley!

Ich sehe hinter diesen Auftritten und Schlagzeilen ganz andere Skandale. Nicht eine halbnackte junge Frau, die sich vor einem Millionenpublikum inszeniert oder eine Mutter, die nicht mehr die Figur einer 18 jährigen hat, sondern die Skandale Showbusiness und Presse. Ein Geschäft, was knallharte Vorgaben und Erwartungen an Künstler*innen hat, welches permanente Selbstvermarktung beansprucht und welches anhand einzelner Ereignisse vernichtende Urteile fällt und vor allem nicht vergisst.

Miley Cyrus zeigt eine ähnliche Karriere wie Britney. Sie wird mit 11 Jahren in der Fernsehserie Hannah Montana bekannt und steht seither vor laufenden Kameras und auf Bühnen. Was das für ein junges Mädchen bedeutet, macht sie in einem Interview sehr deutlich.

“From the time I was 11, it was, ‘You’re a pop star! That means you have to be blonde, and you have to have long hair, and you have to put on some glittery tight thing.’ Meanwhile, I’m this fragile little girl playing a 16-year-old in a wig and a ton of makeup.“8

Ist das nicht skandalös? Ein junges Mädchen, dem ein Image aufgedrückt wird? Welches eine Rolle einer 16 Jährigen spielt? Die 12 Stunden am Tag am Set arbeitet und mit Kaffee zugeschüttet wird, um wach zu bleiben? Die keine Möglichkeit hat, sich auszuprobieren, zu entdecken, wer sie ist, weil sie in ein vorgefertigtes Bild zu passen hat? Miley Cyrus selbst beschreibt, dass das Showbusiness ihr falsche und krankhafte Vorstellungen vom äußeren Erscheinungsbild gegeben habe. Ihre ganze Jugend, ihre Pubertät fand vor laufenden Kameras statt. Sie berichtet, dass sie sogar ihre erste Periode am Set bekommen hat.

I just had to keep going, be tough, be strong. Everything happened to me on that set. […] It was so embarrassing, but I couldn’t leave. And I was crying, begging my mom, ‘You’re going to have to put the tampon in. I have to be on set.“9

Und wozu all das? Um später von der Boulevardzeitungen auseinander genommen zu werden?
Miley Cyrus selbst entgegnete übrigens der Kritik an ihren Auftritten damit, dass es Pubertät sei, eine Phase, die jeder durchgemacht habe. Und dass es das sei, was die Zuschauer*innen doch sehen wollen.10

Und das finde ich einen nachvollziehbaren Aspekt. Ich sehe ihre Inszenierung nicht als Imageverlust sondern als Widerstand gegen die Sozialisation durch das Showbusiness. Sie nutzt Skandale für sich. Sie experimentiert mit Drogen, Sexualität, Nacktheit, sie testet Grenzen aus, übt sich in Provokation und vielleicht auch Peinlichkeit – klassische Sozialisationsaufgaben des Jugendalters, denen sie sich als Hannah Montana nicht widmen konnte.
Am Skidmore College im US-Bundesstaat New York gibt es inzwischen eine Seminarreihe über Miley Cyrus, die ihre Entwicklung aus soziologischer Perspektive betrachtet und wertschätzt.11

Wir wollen von einer Pilotin, dass sie das Flugzeug fliegt, also sollten wir uns bei Musikerinnen auch für ihre Musik interessieren

Viele berühmte Popmusiker*innen durchlebten eine Kindheit fernab des Medienrummels. Natürlich sind Künstler*innnen, die bereits als Kinder vor laufenden Kameras standen gesondert zu betrachten.Jedoch zeigt sich an ihnen umso deutlicher, welcher Druck im Showbusiness herrscht. Angefangen bei vorgefertigten Rollenbildern, über die permanente Überwachung durch die Presse und die Erwartung, immer perfekt abzuliefern.

Als Bürger*innen unterliegen wir den Informationen der Presse, viele der genannten Skandale haben wir vermutlich mitbekommen oder sogar interessiert verfolgt. Denn wir erwarten ständig etwas Neues, wir wollen unterhalten werden, wir wollen Abwechslung, wir wollen Skandale.
Doch welche Ansprüche werden damit auch an Künstler*innen gestellt? Sich ständig neu zu erfinden? Ständig Grenzen zu überschreiten?

Das Showbusiness als solches können wir sicher nicht von Grund auf ändern und trotzdem würde ich mir wünschen, dass der Fokus wieder mehr in Richtung Musik gerückt wird. Dass die Zeilen hinter der Musik Betrachtung finden. Dass hinterfragt wird, warum Inszenierungen gewählt wurden. Dass sich gefragt wird, was Künstler*innen mit ihrem Werk ausdrücken wollen. Dass es überhaupt als Werk anerkannt wird.
Künstler*innen sollten freier in ihrer eigenen Darstellung sein, ihnen sollte Privatsphäre gewährt werden, es sollte wohlwollend miteinander umgegangen werden und vor allem müssen persönliche Grenzen gewahrt werden. Für all das müssen wir uns wohl immer wieder sensibilisieren – seien es nun weltbekannte Musiker*innen oder Mitmenschen aus dem privaten Umfeld.

1 https://www.welt.de/kultur/gallery4201483/Moppel-Britneys-Tour.html
2 https://www.bild.de/leute/2007/video-musc-awards-2466864.bild.html
3 https://www.stern.de/lifestyle/leute/nach-skandal-auftritt-bye–bye-britney-3270456.html
4 https://www.bigfm.de/programm/thema/miley-cyrus-schocker-bei-award-shows
5 https://www.jolie.de/stars/miley-cyrus-mtv-vmas-2013
6 https://www.tz.de/stars/robin-thicke-ehe-aus-wegen-miley-cyrus-zr-3390430.html
7 https://www.youtube.com/watch?v=My2FRPA3Gf8
8 https://www.marieclaire.com/celebrity/news/a15514/miley-cyrus-marie-claire-september-cover/
9 https://www.marieclaire.com/celebrity/news/a15514/miley-cyrus-marie-claire-september-cover/
10 https://www.welt.de/vermischtes/article160307982/Peinlicher-Auftritt-von-Miley-Cyrus-bei-den-VMAs.html
11 https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/us-college-miley-cyrus-als-soziologie-kurs-a-961689.html

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