„Ich weiß, ich bin geil!“ – Warum wir Komplimente einfach annehmen sollten
Als ich vor einiger Zeit mit einer Kollegin gemeinsam zum Mittagessen ging, sagte sie zu mir, dass sie meine offene Art toll fände und es bewundern würde, dass ich so einfach mit verschiedenen Menschen ins Gespräch käme. Im ersten Moment habe ich mich über das wertschätzende Kompliment sehr gefreut – ich bin ein extrovertierter Mensch und zähle meine Kommunikationsfähigkeit zu meinen größten Stärken. Meine Kollegin spielte mit Gesagtem darauf an, dass ich kurz zuvor spontan mit einer Kooperationspartnerin aus Guatemala im gebrochen „Portuñol“ (Mix aus Spanisch und Portugiesisch) ins Gespräch gekommen war. Auf ihren wartenden Blick hin wurde ich, statt das Kompliment dankend anzunehmen, jedoch nervös. In meinem Kopf rotierte es, ich suchte händeringend einen Weg, mich nun in aller Bescheidenheit aus dem Lob herauswinden zu können. „Ach nein, ich glaube wir hatten durch unsere gemeinsame Sprachbasis leichter einen Draht zueinander“, winkte ich die Situation leicht errötend ab.
Später am Abend dachte ich über das Geschehene noch einmal nach. Was für ein absoluter Bullshit, die Frau und ich waren nicht aufgrund einer gemeinsamen Sprachbasis (ich spreche überhaupt kein Spanisch, nur schlechtes Portugiesisch) ins Gespräch gekommen, sondern, weil ich meinen Job gemacht habe und sie im Namen meiner Firma gut und gekonnt unterhalten habe. Warum also fiel es mir so schwer, dieses aufrichtige und nette Kompliment einfach dankend anzunehmen, meine Stärke dahingehend vielleicht sogar zu bestätigen? Ich stellte fest, dass es mehrere Dinge waren, die mich davon abhielten: Einerseits wollte ich nicht arrogant wirken, denn wer war ich schon zu behaupten, ich wäre rhetorisch begabt. Außerdem hatte ich das Gefühl, mit der Annahme des Kompliments meiner introvertierten und recht stillen Kollegin auf die Füße zu treten. Zudem hatte ich Angst, beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation vielleicht zu versagen und mich zu blamieren. Während ich darüber nachgrübelte, wurde mir klar, dass ich mich generell sehr schwer tue, Komplimente anzunehmen. Es fällt mir nicht nur schwer, ich streite Komplimente regelrecht ab, widerlege sie, rechtfertige mich dafür – die reinste Odyssee.
Fällt es Frau wirklich schwerer, Komplimente anzunehmen?
Ich begann mich zu fragen, ob es nur mir so geht oder Frauen allgemein Probleme mit dem Annehmen von Komplimenten haben würden. Nachdem ich eine Weile meinen Freundeskreis beobachtete, fiel mir immer häufiger auf, dass viele meiner Freundinnen nur schlecht nette Worte mit einem einfachen „Danke“annehmen konnten: Sie rechtfertigten sich regelrecht für ihr schönes Outfit („Ach, das alte Teil“), ihre Körperteile („Nee, meine großen Augen sind nicht schön, viel zu glubschig“) und ihre geleistete Arbeit („Das hätte jede:r andere auch geschafft, die Aufgabe war im Vergleich zu den anderen echt einfach!“). Nach dem Lesen einiger Artikel zu der Thematik stellte ich fest, dass Frauen sich wohl generell schwerer damit tun, Komplimente anzunehmen. Während Männer sich eher für die geleistete Arbeit feiern lassen, rechtfertigen sich Frauen öfter dafür oder spielen diese runter, als wäre das alles lediglich eine glückliche Fügung gewesen, nichts weiter. Aber warum ist das so? Lag es an der Angst, arrogant zu wirken? Oder daran, sich nicht über andere stellen zu wollen? Oder sind es die eigenen Selbstzweifel, die einen vomeinfachen „Danke“ abhalten?
“Danke, ich weiß!”
Während unserer Salons sprachen wir in der offenen Runde darüber. Viele Kilts sagten, sie würden sich ebenfalls damit schwertun. Einige hatten sich mit diesem „Problem“ jedoch bereits auseinandergesetzt undeigene Wege gefunden, Komplimente anzunehmen. Während die einen versuchten, nicht direkt in die Spirale der Rechtfertigung zu verfallen, waren andere bereits soweit, dass sie selbstbewusst mit „Danke, ich weiß“ antworten konnten. Das beeindruckte mich sehr und ich nahm mir vor, fortan gezielt daran zu arbeiten. Schon nach ein paar Tagen merkte ich, dass es mir zumindest sofort auffiel, wenn ich mich mal wieder auseiner Situation, in der gut über mich geredet wird, rauszureden versuchte. Mittlerweile bin ich sogar soweit,dass ich es schaffe, auf die meisten Komplimente mit „Danke“ zu antworten. Und gestern hatte ich ein großes Erfolgserlebnis, da ich mir vor einer anderen Kollegin sehr wertschätzend selbständig ein Kompliment gemacht habe (was im Anschluss von ihr bestätigt wurde). Ich hatte ein fantastisches Gefühl dabei und möchte euch nur bestärken, einfach mal hinzunehmen (und vielleicht sogar zu feiern), wenn andere euch toll finden. Ich denke, dass etwas scheinbar so Einfaches, wie nett gemeinte Worte, mit einem einfachen Dank anzunehmen, uns auf unserem Weg zur Gleichberechtigung sehr helfen können. Denn wie sollen wir von anderen angemessen wertgeschätzt werden, wenn wir es uns selber nicht zugestehen können?
Zur Sprache auf diesem Blog: Immer, wenn wir Genderbezeichnungen nutzen, beziehen wir uns gleichermaßen auf trans wie cis Menschen. Uns ist bewusst, dass die von uns verwendeten Begriffe soziale Konstrukte sind und es mehr als zwei Geschlechter gibt. Um gendersensible Sprache zu verwenden, nutzen wir den Doppelpunkt. Falls wir über eine Person schreiben, die sich eine andere Selbstbezeichnung wünscht, verwenden wir diese.
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