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Intersektionale Perspektive auf Selbstfürsorge

Bei unserer Diskussion über Selbstfürsorge, oder auch Self-Care1 haben sich verschiedene Standpunkte entwickelt, wie wir auf das Thema blicken. Als Prävention gegen physische und psychische Krankheiten, als politischer Akt oder als kapitalistische Verführung bzw. Marketingstrategie2 – Selbstfürsorge wird sehr vielseitig betrieben.

Kurze Begriffsgeschichte:
Das kleine Wort „Self-Care“ sowie die mediale Präsenz des gleichnamigen Hashtags mag heutzutage verschleiern, woher der Begriff und die Praxis des „sich-um-sich-selbst-kümmerns“ eigentlich stammen. 

Zunächst trat der Begriff „Self-Care“ als medizinisches Konzept auf.3 Es wurde von Ärzt:innen zunächst an psychisch kranke sowie ältere Menschen herangetragen, sodass diese den Fokus auf sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse legen sowie darauf aufbauend das für-sich-selbst-sorgen routinieren können.4 Ab den 1960ern und 1970ern konzentrierten sich Wissenschaftler:innen dann eher auf Menschen, die einem Beruf nachgingen, der höhere Risiken und emotionale Belastungen barg, um ihnen eine Möglichkeit zu bieten Stress zu verarbeiten: „The belief driving this work was that one cannot adequately take on the problems of others without taking care of oneself […].“5 Bereits zu dieser Zeit bezog sich der Begriff „Self-Care“ nicht rein auf die physische, sondern umschloss zugleich die emotionale und psychische Gesundheit.

Zeitgleich wurde das Verständnis von Self-Care erweitert: Selbstfürsorge als politischer Akt. Besonders Frauen* und BPoCs verstanden Selbstfürsorge als Akt gegen das patriarchale und weiße System, sodass sie die Gesundheit und Unversehrtheit ihres Körpers als Zeichen des Widerstandes sahen: „Selfcare was ‚a claiming [of] autonomy over the body as a political act against institutional, technocratic, very racist, and sexist medicine‘“.5 Besonders BPoCs blieb durch rassistische Strukturen oft der Zugang zu Ärzt:innen und einer angemessen gesundheitlichen Versorgung versagt, weshalb sie sich vermehrt darüber austauschten – sie waren leitend für das Verständnis von Self-Care als politischer Wiederstandsakt.

Selbstfürsorge als Privileg:
Auch wir im Salon haben über Schwierigkeiten im Umgang mit Selbstfürsorge gesprochen. Selbstfürsorge kann baden, lesen, ruhige Momente, allein sein, spazieren gehen uvm. bedeuten, unter dem Strich braucht es jedoch für alles Zeit und/oder Geld. Das macht Selbstfürsorge zu einem Privileg, da es nicht sehr viele Menschen gibt, die sich „einfach so“ die Zeit und den Freiraum dazu nehmen können. Für viele beinhaltet Self-Care auch eine monetäre Dimension, da Badeschaum oder ein Buch in der Anschaffung Geld kosten. Auch diesen Luxus kann sich nicht jede:r leisten.

Rex Neonowicz schlägt deshalb in ihrem Artikel6 drei Zugänge zu einer intersektionalen Perspektive von Self-Care vor, die jede:r üben kann. 

1. Verstehen, welche Rolle Unterdrückung in unserer Gesellschaft spielt, im Bezug darauf ob es uns möglich oder unmöglich ist, auf uns zu achten. 
2. Möglichkeiten suchen, sich gemeinschaftlich zu engagieren bzw. eigene Selbstfürsorge zu betreiben, indem man sich Zeit für andere Menschen nimmt und sie in ihrer Selbstfürsorge unterstützt.
3. Eigene Strategien und Übungen erarbeiten und praktizieren, die einem/einer selbst gut tun; egal was anderen vielleicht gut tun mag.4

Wie Instagram oder Twitter #selfcare definieren sollte uns also ziemlich kalt lassen. Wir müssen auf uns aufpassen, sodass wir weiter für eine gerechtere Welt kämpfen können – und dafür sollten wir uns auf uns konzentrieren und gleichzeitig aufeinander Acht geben.

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  1. In diesem Artikel wird der Begriff ‚Self-Care‘ verwendet, da es um die ursprüngliche Verwendung und Bedeutung des Begriffs geht, die im englischsprachigen Raum anzusiedeln ist. Durch den Bindestrich wird die Akzentuierung des „sich-um-sich-selbst-Kümmerns“ hervorgehoben. []
  2. Vgl. Lilian: Selfcare-Merchandising: Im Kaufrausch für das Wohlbefinden, 08. Dezember 2020, https://klitcologne.de/selfcare-merchandising-im-kaufrausch-fuer-das-wohlbefinden/ []
  3. Harris, Aisha: A History of Self-care, 05. April 2017, http://www.slate.com/articles/arts/culturebox/2017/04/the_history_of_self_care.html, Zugriff am 07.12.202. []
  4. Vgl. ebd. [] []
  5. Ebd. [] []
  6. Leonowicz, Rex: 3 Things You Should Know About Intersectionality and Self-Care, 23. August 2016, https://advice.theshineapp.com/articles/3-things-you-should-know-about-intersectionality-and-self-care/, Zugriff am 18.12.2020 []

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