Einführung: Sexarbeit/Prostitution
Der aktuelle Zyklus der klit.COLOGNE beschäftigt sich mit dem Thema „Sexarbeit/Prostitution“ und so mit einem der wohl kontroversesten Themen in feministischen Kreisen. Diese Erkenntnis verstärkte sich bei meiner Recherche zur Vorbereitung des Salons von Tag zu Tag. Und auch ich wurde zunehmend ambivalenter, je tiefer ich in die Diskussion eintauchte. Stellt Sexarbeit eine Möglichkeit für Frauen dar, sich selbst zu ermächtigen, sich finanziell selbst zu versorgen und/oder sich sexuell auszuleben? Oder stützt sie kapitalistische und patriarchale Strukturen, die nur überwunden werden können, wenn Sexarbeit gesetzlich verboten wird?
Durch meine Arbeit als Psychotherapeutin begegne ich immer wieder Menschen, die von ihren Erfahrungen mit Sexarbeit berichten – als Kund*in, als Sexarbeiter*in, als Angehörige*r. Einige erleben es als lustvolles Abenteuer, andere als hilflose Notsituation. Besteht bei dieser Komplexität überhaupt die Möglichkeit, für mich selbst eine Position zu finden?
Für diesen Themenzyklus versuchten wir uns zum ersten Mal an einem neuen Format: dem klit.TALK. Bei vorherigen Salons gab es häufig ein recht homogenes Meinungsbild. Diesem wollten wir entgegenwirken, indem wir jedem Klitglied eine bestimmte (zugegeben sehr stereotype) Position zuwiesen: die radikale Feministin, die katholische Kirchenvertreterin, die Kundin, die Sexarbeiterin, die Sozialarbeiterin, … Der klit.TALK sollte den Versuch darstellen, sich in extreme(re) Standpunkte rein zu denken, sie nachzufühlen und so hoffentlich ein wenig mehr que(e)rzudenken. Jede Teilnehmerin erhielt im Vorhinein sehr selektive Informationen. Um trotzdem eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu haben, startete der diesmalige Salon mit einem Abriss der geschichtlichen Entwicklung der Prostitution sowie einer Beschreibung der heutigen rechtlichen Situation in Deutschland. Beides soll in diesem Blogbeitrag auch hier als Einführung dienen.
Wortgefecht: ‘Sexarbeit’ oder ‘Prostitution’?
Die Kontroverse unseres aktuellen Themenzyklus‘ startet schon bei den Begrifflichkeiten. Fürsprecher*innen nutzen tendenziell eher das Wort ‚Sexarbeit‘, das auch als Selbstbezeichnung von Sexarbeiter*innen häufig gewählt wird. Befürworter*innen eines Sexkaufverbots, Ministerien und Behörden u.a. sprechen hingegen von ‚Prostitution‘. Mit dem Begriff ‚Sexarbeiter*in‘ werden professionelle Dienstleister*innen bezeichnet, die (sexuelle) Dienstleistungen anbieten, um Geld zu verdienen – dies umfasst neben sexuellen Handlungen mit und an anderen Menschen auch Tätigkeiten als Pornodarsteller*in, Tantramasseur*in, die Arbeit als Dom*ina, erotische*r Tänzer*in, Anbieter*in von Online- oder Telefonsex uvm.1 Der Begriff ‚Prostitution‘ ist hingegen oft negativ konnotiert. Vertreter*innen dieser Perspektive stellen damit ein patriarchales System ins Zentrum, das Frauen generell objektiviert und unterdrückt.
Beide Begriffe haben wohl ihre Berechtigung, abhängig von den Kontextfaktoren. Bei der Unterscheidung zwischen Sexarbeit und Prostitution geht es neben den Handlungen um die Beweggründe und Beziehungssysteme der beteiligten Personen. Kann die betroffene Person eine informierte Entscheidung treffen, wenn auch eventuell angesichts schwieriger Gegebenheiten? Oder ist sie in sexistische Beziehungen und Verhältnisse verstrickt, aus denen sie keinen Ausweg findet?2 Und besteht zwischen den beteiligten Personen eine konsensuale Vereinbarung, aus der einvernehmliche und freiwillige Handlungen resultieren?
“Eine Feministin kann sowohl Sexarbeiter*innen unterstützen und
Antje Schrupp, Zeit
für einen freien, akzeptierenden Markt sexueller Dienstleistungen
eintreten, als auch Prostitution ablehnen und Projekte anstoßen, die
betroffenen Frauen helfen, sich aus solchen Situationen zu befreien.
Das ist überhaupt kein Widerspruch.”
Geschichtlicher Abriss
Die Geschichte der Prostitution geht weit zurück. In der griechischen und römischen Antike waren Prostituierte meist mit Sklavinnen gleichzusetzen. Im Mittelalter galten sie als „geringeres Übel“ im Gegensatz zu dauerhaftem Ehebruch oder sexuell motivierten Verbrechen.3 In Zeiten der Reformation forderte Martin Luther dann die Abschaffung der „Hurerey“ und setzte Prostitution mit Mord und Diebstahl gleich (beides Straftaten, die mit der Todesstrafe geahndet wurden). Aus der protestantischen Sichtweise stellte Prostitution ein Relikt der Verdorbenheit der katholischen Gesellschaft dar. Prostituierte wurden kriminalisiert und verloren die wenigen Rechte, die sie bis dato noch besaßen. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 wurde der sogenannte „Unzuchtsverdacht“ eingeführt: Das Recht eines jeden Mannes, jede beliebige Frau der „Gewerbsunzucht“ zu verdächtigen und das ohne den zuvor nötigen „Nachweis des fleischlichen Gebrauchs gegen Bezahlung“. Von dort an reichte es, sich als Frau „undamenhaft“ zu verhalten – sich also beispielsweise „nächtlicherweise auf der Straße blicken“ zu lassen oder nicht gesenkten Blickes geradeaus zu laufen.3 Auch im Deutschen Reich wurde Prostitution als sittenwidrig gehandelt und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgehalten. Da sittenwidrige Geschäfte nicht rechtskräftig waren, erhielten Prostituierte kein Arbeitslosengeld und sie konnten sich weder offiziell sozialversichern noch ihr verabredetes Honorar gerichtlich einklagen, falls der Freier nicht bezahlen wollte. Die Auffassung der Prostitution als Sittenwidrigkeit hielt sich beständig zum Ende des 20. Jahrhunderts: 1965 stufte die BRD Prostituierte durch einen Richterspruch als Berufsverbrecher ein, 1980 stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass „Erwerbsunzucht (…) eine sittenwidrige und in vieler Hinsicht sozialwidrige Tätigkeit“ sei.4 Zeitgleich bediente sich die DDR der „frauenspezifische Verwendung“: Prostitution galt offiziell zwar als verboten, die Stasi nutzte männliche und weibliche Prostituierte jedoch zur Informationsgewinnung über den „Klassenfeind“, der dadurch erpressbar wurde.5
In den 1970er Jahren startete dann die europäische Hurenbewegung in Frankreich (seitdem ist der 2. Juni der Internationale Hurentag).6 Seit den 1980er Jahren organisieren sich Sexarbeiter*innen auch in der BRD für Selbstbestimmung über den eigenen Körper und gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung.7 Die Aktivist*innen übernahmen selbstbewusst das Schmähwort ‚Hure‘ und definierten ihre Arbeit selbst als ‚Sexarbeit‘. Seit 1985 finden regelmäßig alle sechs Monate nationale Hurenkongresse statt, ab 1999 als ‚Fachtagungen Prostitution‘. Die Teilnehmenden entwarfen einen 22 Punkte umfassenden Forderungskatalog, der als politische Diskussionsgrundlage in verschiedene Gesetzesentwürfe zur Prostitution einfloss.
Rechtliche Lage
Deutschland ist in Bezug auf Prostitution einer der liberaleren Staaten in Europa. Hier ist Sexarbeit legal und geregelt. 2002 trat das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ (kurz Prostitutionsgesetz, ProstG) in Kraft.8 Ziel war „die Verbesserung der Verhältnisse in der Prostitution zugunsten derjenigen Frauen und Männer, die freiwillig ihren Lebensunterhalt durch Prostitution bestreiten“.9 Prostitution soll damit laut Bundesregierung „allerdings kein ‚Beruf wie jeder andere‘ werden“.10 Seit Inkrafttreten des ProstG gilt Sexarbeit nicht mehr als sittenwidrig, sondern wird als rechtswirksam anerkannt. Dadurch ist die Tätigkeit als selbstständige*r Sexarbeiter*in ebenso erlaubt wie das Betreiben eines Bordells. Letzteres umschließt die Bereitstellung von Räumlichkeiten; Zuhälterei als (finanzielle) Ausbeutung von Sexarbeiter*innen ist gesetzlich verboten. Seit dem ProstG können Sexarbeiter*innen sich kranken- und sozialversichern und ihr Honorar einklagen. Kund*innen können das „vereinbarte Entgelt“ nur bei „vollständiger Nichterfüllung der sexuellen Handlung“ zurückfordern. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wurden die Ziele des ProstG jedoch nur in begrenztem Rahmen erreicht. Arbeitsbedingungen hätten sich nicht verbessert, es gebe kaum sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, keine Verbesserung der Ausstiegsmöglichkeiten und keinen mindernden Effekt auf Kriminalität.9
2017 folgte das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), welches eine „Anmeldepflicht für Prostituierte“, eine „Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe“ sowie eine „Gesundheitsberatung für Prostituierte“ mit sich brachte.11 Ziel des Gesetzgebers war es, Sexarbeiter*innen besser zu schützen und Kriminalität zu bekämpfen. Interessenverbände kritisieren das Gesetz jedoch. Der Frankfurter Verein Doña Carmen reichte im Juni 2017 eine Beschwerde beim Verfassungsgericht ein.12 Der 2013 gegründete Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), welcher sich für eine gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung von Sexarbeit einsetzt, lehnt das ProstSchG ab, da es „der Branche mehr Schaden als Nutzen“ beschere.13 Josefa Nereus, Sexarbeiterin und Pressesprecherin des BesD, bezeichnet die Anmeldepflicht, die in der Szene als „Hurenausweis“ verpöhnt wird, als „Brandmarkung“: „ein Sinnbild für die Stigmatisierung der Sexarbeit und die Ausgrenzung aus der Gesellschaft“.14 Zusätzlich zur Anmeldebescheinigung müssen Sexarbeiter*innen bei der Arbeit ihren Personalausweis mit sich führen. Dies erleichtere das Outing, selbst wenn bei der Anmeldung ein Künstler*innenname angegeben wurde. Viele Sexarbeiter*innen hätten daher große Angst vor dem Outing, das erpressbar mache, so Nereus. Die obligatorische Gesundheitsberatung für Sexarbeiter*innen habe darüber hinaus wenig mit Schutz zu tun. „[Eine] wirkliche Schutzfunktion hätte ein freiwilliges Beratungs- und Aufklärungsangebot (…). Im Traumfall eine Mischung aus Sozialarbeiterin, Sexworkerin und Steuerberaterin“, erklärt Nereus.14
Ausblick
Innerhalb unseres Kreises der klit.COLOGNE gibt es nach wie vor ambivalente Meinungen – zwischen Mitgliedern und auch innerhalb einzelner Köpfe. Bei manchen gibt es mehr Chaos als vorher, andere empfanden den Austausch als klarheitsstiftend(er). Im Laufe der kommenden Wochen werden wir uns mit dem Thema noch näher beschäftigen. Wie argumentieren die verschiedenen (Extrem-)Positionen? Welche Blickwinkel haben wir bisher vernachlässigt? Wie sieht die (rechtliche) Situation in anderen Staaten aus? Welche Statistiken und Zahlen gibt es über Sexarbeiter*innen, Kund*innen, etc.? … Wie immer freuen wir uns über eure Meinungen und Erfahrungen zum Thema.
- Gender Glossar. Sexarbeit [↩]
- Schrupp, Antje (2018). Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. [↩]
- Schmitter, Romina (2013). Prostitution – Das “älteste Gewerbe der Welt”?. Bundeszentrale für politische Bildung. [↩] [↩]
- Rieker, Joachim (1985). Ware Lust – Wirtschaftsfaktor Prostitution. Fischer Verlag: Frankfurt/M., S. 37 [↩]
- Brüning, Stefanie (2018). Prostitution in der DDR. In: Digitales Deutsches Frauenarchiv. [↩]
- Waldenberger, Almuth (2016). Die Hurenbewegung: Geschichte und Debatten in Deutschland und Österreich. Lit-Verlag: Münster [↩]
- Heying, Mareen (2018). Die Hurenbewegung als Teil der Zweiten Frauenbewegung. Digitales Deutsches Frauenarchiv. [↩]
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2007). Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten. Koelblin-Fortuna-Druck, Baden-Baden [↩]
- Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zum ProstG, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Januar 2007, S. 12ff [↩] [↩]
- Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zum ProstG, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Januar 2007, S. 7ff [↩]
- Bundesgesetzblatt Jahrgang 2016, Teil I, Nr. 50, ausgegeben zu Bonn am 27. Oktober 2016 [↩]
- Doña Carmen, Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten. Pressemitteilung vom 14.08.2018 [↩]
- Berufsverband erotischer und sexueller Dienstleistungen [↩]
- Litschel, Laura-Solmaz (2019). “Das Prostituiertenschutzgesetz ist Stigma pur”. Ein Gespräch mit Josefa Nereus, Sexarbeiterin und Pressesprecherin des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen. MISSY Magazine. [↩] [↩]
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